Die in Europa wohl am häufigsten verwendete Gewölbeform ist das Kreuzgewölbe, weil bei diesem die Widerlager auf die Ecken konzentriert sind und damit keine Zwänge für die Gestaltung der Wände bestehen und weil es problemlos addierbar ist. Bei diesen Gewölben, die prinzipiell aus sich durchdringenden Zylindern bestehen, können die Mauerschichten wie bei den Tonnengewölben ebenfalls als vertikale Ringschichten, horizontal parallel zum Gewölbeansatz, oder diagonal verlaufen.
Bei Kreuzgewölben sind Gewölbeverbände mit vertikalen Ringschichten in Mitteleuropa nicht üblich, wohl aber in Persien und einigen Regionen Spaniens. Wo die Lagerfugen dagegen horizontal, also parallel zum Gewölbeansatz verlaufen, lassen sich bogenförmig gekrümmte Mauerschichten dadurch erreichen, dass man die Kappen nicht exakt zylindrisch ausbildet, sondern ihnen eine doppelte Krümmung verleiht. Die so entstehende Form der Gewölbefläche wird als “gebuste” Kappe bezeichnet. Bei den meisten Formen von Kreuzgewölben ist es günstig und auch üblich, die Mauerschichten zu neigen, um eine stärkere Krümmung der Mauerschichten zu erreichen. Bei einer mäßigen doppelten Krümn1ung der Kappen lassen sich so die Gewölbe leicht in selbsttragenden bogenförmigen Schichten freihändig aufmauern, wobei nur die Grate und Gurtbögen durch Lehrgerüste unterstützt werden müssen.
Beim „Schwalbenschwanzverband« , bei dem die Mauerschichten diagonal stehen ( und zwar senkrecht zur Ebene der Kreuzgrate), läuft, als zusätzlicher Vorteil, der Verband über die Grate hinweg kontinuierlich durch. So lässt sich eine durchgehende Fuge entlang des Kreuzgrates oder hinter der Diagonalrippe, wo eine solche vorhanden ist, vermeiden; insbesondere dort, wo die Rippen aus Backsteinen bestehen und im Verband mit den Gewölbekappen gemauert sind, sowie bei Kreuzgratgewölbe mit stehenden Ringschichten Eine Möglichkeit, Kreuzgewölbe völlig ohne jede Rüstung zu bauen, besteht darin, sie als sich durchdringende „Nubische” Tonnengewölbe zu errichten. Dabei werden gleichzeitig von den vier Seiten des zu überwölbenden Raumes ausgehend Kappen mit stehenden Ringschichten zur Mitte hin vorgebaut; die Kreuzgrate ergeben sich dabei aus der Verschneidung der Mantelflächen der Kappen.
Solche Kreuzgratgewölbe sind aus dem vorderen Orient und Persien bekannt tauchen aber auch in der traditionellen Architektur der spanischen Region Extremadura auf (Sanchez Leal 1998 Fortea Luna 2001) und werden im schon erwähnten Handbuch von Ger y Lobez beschrieben. Für die geometrische Kontrolle werden dem nach längs der Mantelflächen der sich überschneidenden Ton- nen horizontale Schnüre gespannt, deren Kreuzungspunkte die Lage der Kreuzgrate markieren. Somit sind die Kappen des so entstehenden Kreuzgewölbes nur einfach gekrümmt, und die Kurve der Kreuzgrate resultiert, anders als in der mitteleu- ropäischen Tradition üblich, aus der Verschneidung der zylindrischen Mantelflächen.11 Eine Einrüstung der Grate ist bei dieser Prozedur nicht notwendig, weil die Schichten gegen diejenigen der jeweils angrenzenden Kappe gesetzt werden. Ein wesentlicher Nachteil dieses Gewölbeverbands besteht, wie bei den Tonnengewölben mit aufrechtstehenden Ringschichten, in der großen Länge der Mauerschichten. In einer Variante dieses Gewölbeverbandes, die in der Exdtremadura üblich ist, wird auf besonders raffinierte Weise der Aufbau der Grate ohne Lehrgerüst erheblich vereinfacht
Dazu werden die Grate stückweise mit horizontalen Schichten auskragend gemauert. Sobald die Grenze für das Gleichgewicht des so entstehenden Volumens erreicht ist, wird dieses auf der Rückseite mit aufrechten Ring Schichten belastet und stabilisiert. Danach werden auf die verbleibende Ecke wiederum einige horizontale auskragende Schichten gesetzt und darauf erneut die nächsten aufrechten Schichten, und so fort. Gewölbe dieses Typs sind auch in jüngerer Zeit errichtet worden (Sanchez Leal 1998, 108). Bei der Simulation dieser Prozedur im Modell hat sich
gezeigt, dass diese Lösung vor allem im unteren Teil der Kreuzgrate sehr hilfreich sein dürfte, weil hier die Schichten der benachbarten Kappen in spitzem Winkel aufeinander treffen und sich daher nur schwer gegeneinandersetzen lassen – zum einen, weil die Blöcke sehr schräg abgeschnitten werden müssten, zum anderen, weil die Fuge fast parallel zur Bogenlinie der Schichten verläuft und daher abzurutschen droht. Im oberen Teil verringern sich diese Schwierigkeiten, weil der Winkel zwischen den Schichte der benachbarten Kappen stumpf ist und die Bogenlinie der Schicht stark von der Vertikalen abweicht, weshalb im oberen Teil auf die horizontal auskragenden Schichten verzichtet werden kann, wie dies auch in den erwähnten existierenden
Gewölben erkennbar ist.
Text: Auszug aus LASSAULX und der Gewölbebau, David Wendland, Michael Imhof Verlag